Frauen - Arbeitsmarkt – Europa - Caring Economy
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Frauen – Arbeitsmarkt – Europa

Die Verbesserung der Gendergleichstellung würde das Pro-Kopf-BIP der EU bis 2050 um 6,1 % bis 9,6 % erhöhen, das entspricht 1,95 bis 3,15 Billionen EUR. Der Abbau der geschlechtsspezifischen Unterschiede würde 10,5 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze schaffen – so viele, wie sie in einem europäischen Land mittlerer Größe verfügbar sind. Dies würde sowohl Frauen als auch Männer gleichermaßen zugutekommen. Europäische Kommission: Überwachungsportal für die Gleichstellungsstrategie der Geschlechter


Agieren somit arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die dies nicht unterstützen wirtschaftsschädlich und verantwortungslos? In Anbetracht dessen, dass unsere Wirtschaftspolitik Wachstum als Ziel setzt, passt die Vernachlässigung all der enormen Potentiale durch Geschlechtergleichstellung nicht zusammen. Auch wissen und sehen wir mittlerweile, dass wir mit einem Wirtschaftskonzept, das nur durch Wachstum überlebensfähig bleibt, unsere Lebensgrundlagen zerstören. Geschlechtergeleichstellung und ein höherer Status der Frauen kommt immer allen Menschen zugute und fördert eine nachhaltigere und solidarischere Gesellschaftt. Gleichstellungsmaßen kurbeln nicht nur die Wirtschaft an, sondern sind essentieller Treibstoff für den erforderlichen Wandel hin zu einer Caring Economy.


Frauenförderprogramme allein reichen nicht

Gleichstellungsmaßnahmen könnten zu einer Erhöhung der potenziellen Produktionskapazität der Wirtschaft und zu niedrigeren Preisen führen. Infolge dieser Entwicklungen wäre die EU in der Lage, im Binnenmarkt mehr Waren und Dienstleistungen zu produzieren, und sie würde außerdem auf den internationalen Märkten wettbewerbsfähiger. Frauen sind besser qualifiziert als je zuvor, sie erlangen in Europa auch mehr Universitätsabschlüsse als Männern. Dennoch stehen viele Frauen aufgrund ihrer Betreuungspflichten vor Hindernissen bei der Berufswahl und haben nicht die gleichen Karrierechancen wie Männer. In einem Paper des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen über den „Wirtschaftlichen Nutzen der Gleichstellung“ werden weiters überzeugende Beweise für die positiven Auswirkungen, die mit dem Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sowie bei Arbeitsmarktaktivitäten und Löhnen verbunden sind gebracht.

Gleichzeitig zeigen aktuelle Studien der IHS und Statista, dass nur rund ein Viertel der Frauen mit MINT-Ausbildungen auch einen entsprechenden Beruf ausübt. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Ein wichtiger Aspekt ist unter anderem auch, dass viele Unternehmen nach wie vor sehr hierarchische, patriarchale Unternehmensstrukturen aufweisen, die sich durch Frauenförderprogramme allein nicht durchbrechen lassen.

Ein Hauptproblem bei Prognosen dieser Art ist, dass es wirksamer ist, wenn gegen die verschiedenen Aspekte der Geschlechterungleichheit nicht einzeln, sondern insgesamt vorgegangen wird, da die Gleichstellung in einem Bereich Ausstrahlungseffekte auf andere Bereiche hat.


Es bleibt ein sehr auffälliges Muster: Die fehlende große, konsequente Strategie ist mit ein Grund, warum die erhofften Ausstrahlungseffekte ausbleiben. Solange die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und volkswirtschaftlicher Grundlagenarbeit (Betreuung, Fürsorge, Pflege von kleinen Kindern und Angehörigen) weiter als sogenanntes „Frauenthema“ gilt, führt dies unweigerlich in deren Armut.


Eine Erhöhung der Arbeitszeit von Frauen führt in der Regel nicht zu einer gerechteren Verteilung

Frauen sind nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt in Europa weiterhin unterrepräsentiert. Im Jahr 2021 lag die Erwerbstätigenquote bei Frauen bei 67,7 %, während sie bei Männern 78,5 % betrug. Dieser geschlechtsspezifische Beschäftigungsunterschied hat sich in den letzten 10 Jahren nur leicht um 1,9 Prozentpunkte verringert. commission.europa „Die Situation der Frauen auf dem Arbeitsmarkt“

Obwohl mehr Frauen am Arbeitsmarkt teilnehmen, tragen sie nach wie vor die Hauptlast der unbezahlten Arbeit im ökonomischen Ort „Privater Haushalt“ und in der damit verbundenen Fürsorge- und Pflegearbeit. Eine Erhöhung der Arbeitszeit von Frauen führt in der Regel nicht zu einer gerechteren Verteilung dieser Haus- und Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern. Rechnet man die bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen, arbeiten Frauen insgesamt mehr als Männer – auch wenn Frauen mehr Erwerbstätigkeit nachgehen als Männer.


Weil wir es nach wie vor nicht geschafft haben, die essenzielle Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen fair zu verteilen und die Anerkennung und volkswirtschaftliche Bewertung auf sich warten lässt, werden Frauen in Teilzeitstellen gezwungen.


Gleichzeitig ist eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen der Schlüssel zur Stärkung ihrer wirtschaftlichen Position, ihrer Unabhängigkeit und gegen Altersarmut. Auch dieses Problemfeld ist schon länger bekannt und Lösungen lassen auf sich warten: Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als Männer pro Stunde. Das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU betrug 2020 13,0 % und hat sich seit 2010 nur um 2,8 Prozentpunkte verringert. Mehrere Faktoren tragen zu diesem Gefälle bei, darunter unterschiedliche Arbeitsmuster von Frauen aufgrund von Berufsunterbrechungen oder der Übernahme von Betreuungsaufgaben, Geschlechtertrennung in Niedriglohnsektoren und Teilzeitbeschäftigung. Doch auch bei gleicher Qualifizierung erhalten Frauen oftmals für gleiche Arbeit weniger Lohn als Männer.


„Es ging nie um die Befreiung der Frau. Es ging um die Befreiung ihrer Arbeitskraft für den Arbeitsmarkt“

Sabine Mänken



Öffentliche Investitionen in Care sind besonders wirkungsvolle Wirtschaftspolitik. Sie tragen zu höher Wertschöpfung im Land, zu Beschäftigung und Wachstum in Zukunftsbereichen bei und bringt hohe Staatseinnahmen. Ökonom*innen, die diese ökonomischen Zusammenhänge ignorieren, fehlt das Verständnis für wirtschaftspolitische Zusammenhänge. Mehr Geld, Zeit und Wert für Care ermöglicht blühende Wirtschaften. Wirtschaften fürs Leben!

Elisabeth Klatzer
Wirtschafts- & Sozialwissenschafterin, fair sorgen!


Die gleichen Rechte für Männer

Statistiken zeigen, dass Männer während der Elternschaft lieber weniger Stunden arbeiten würden. Dies deutet auf das Potenzial für Veränderungen hin: Die Bedürfnisse der Männer könnten durch verbesserte Regelungen erfüllt werden, einschließlich bezahltem Vaterschaftsurlaub, angemessenen bezahlten Elternurlaubszeiten für Väter bzw. durch 50:50 Karrenzregelungen. Die Etablierung eines Karenzmanagements auch für Väter wäre förderlich, um auch längere Abwesenheiten zu ermöglichen. EU-Projekt: Männer und Vereinbarkeit von Beruf und Familie: Wege zur gerechten Verteilung von Karenz-, Betreuungs- und Arbeitszeiten

Männer mit Betreuungspflichten hätten nicht nur die Pflicht, sondern auch das Recht, flexible Arbeitszeitregelungen wie Arbeitszeitverkürzung, Gleitzeit und Telearbeit zu fordern. Auch zeigen Studien, dass die positiven Effekten um vieles höher sind, wenn in Jungfamilien Frauen und Männer beide einer 30 Stunden-Anstellung nachgehen, im Vergleich zum traditionellen Modell, in dem Männer Vollzeit erwerbstätig bleiben und Frauen in einem geringen Ausmaß erwerbstätig sind.

Geschlechtersegregation nach wie vor ein großes Problemfeld

Auch hier sind wir nicht dort, wo wir sein sollten, und mahlen die Mühlen viel zu langsam: Die ungleiche Verteilung von Frauen und Männern in verschiedenen Sektoren des Arbeitsmarktes bleibt ein Problem in der EU. Eine hohe Konzentration von Frauen in traditionell schlechten bezahlten Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Soziales steht einer höheren Konzentration von Männern in besser bezahlten Bereichen wie Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen und Mathematik gegenüber. Dass vor allem jene Berufe, die die Grundlagen unserer Volkswirtschaften bilden, ökonomisch viel zu schlecht bewertet werden und sich die Bedingungen hier kaum bis gar nicht verbessern, ist mit ein Grund, dass in diesen Bereichen zunehmende Fachkräfteflucht stattfindet bzw. zu wenige Menschen nachkommen.


Je weniger unbezahlte Arbeit Frauen leisten, desto besser sind sie gestellt. Das ist das Armutszeugnis aller Industrieländer. 

Sibylle Stillhart
Freie Journalistin


Bei all den Empfehlungen sollten wir unseren kritischen Blick nicht allzu schnell verlieren. Nur wenn wir eine Neubewertung und Aufwertung sinnvoller, hochwertiger Jobs im Bildungs- und Pflegesektor schaffen, massive Investitionen in diese Zukunftssektoren bereitstellen und wirtschaftspolitische Entschiedenheit bei einer geschlechtergerechten Arbeitswelt zeigen, kommen wir einem Europa näher, das seinem Namen gerecht wird, unserer Jugend Perspektiven gibt und die Grundwerte einer jeden Demokratie hochhält. Alles andere führt weiter in das wirtschaftliche Desaster, in mehr Ungleichheit, in mehr Armut, in eine weitere Instabilisierung in der Gesellschaft.

Recherche, Text: Elisabeth Sechser

Weitere Quellen:

OECD’s data on gender equality, Eurostat gender statistics web page, Gender Equality Strategy Monitoring Portal, Statista-Europäische Union: Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Mitgliedstaaten¹ ² ³ der EU im Jahr 2023, Statistik Austria- Gesundheitsausgaben im Jahr 2022, World Economic Forum Global Gender Gap Report 2022, EIGE Wirtschaftlicher Nutzen der Gleichstellung in der Europäischen Union